Freiheit der Mathematik – Ein Plädoyer und ein Projekt für die Freude am Lernen
Wenn wir von Schule sprechen, reden wir meistens von einem System, das Inhalte vermittelt, Prüfungen organisiert und Abschlüsse vergibt. Doch viel seltener reden wir davon, was Lernen eigentlich ist – oder was es sein könnte. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Lernen etwas Mühsames, Belastendes, oft sogar Qualvolles ist. Wer erinnert sich nicht an das schlechte Gefühl im Magen, wenn eine Klassenarbeit anstand, an die schlaflosen Nächte vor Prüfungen oder an den ständigen Druck, etwas „können“ zu müssen?
Dabei ist Lernen in seiner Essenz das Gegenteil. Es ist Neugier, Entdecken, Wachsen. Es ist das vielleicht menschlichste Vermögen überhaupt. Ein Kind, das laufen lernt, leidet nicht. Es scheitert unzählige Male, aber es freut sich über jeden kleinen Schritt, über jedes Gelingen, über den Moment, in dem etwas verstanden und gekonnt wird. Und dennoch haben wir mit Schule ein System, in dem genau dieses Element – die Freude am Lernen – nur peripher eine Rolle spielt.
Spiel und Lernen – zwei Seiten derselben Bewegung
In Computerspielen ist diese Freude am Lernen nie verschwunden. Jedes Spiel, ob groß oder klein, verlangt vom Spieler zu lernen. Regeln, Muster, Mechaniken – ohne Lernen kein Fortschritt, ohne Fortschritt kein Spiel. Und niemand beschwert sich darüber, niemand sagt: „Das ist aber mühsam.“ Im Gegenteil: genau dieser Lernprozess ist der Kern der Lust am Spielen.
Und doch sind viele davon überzeugt, dass Lernen und Spielen Gegensätze sind. Warum verteidigen wir ein Schulsystem, das das Lernen zum Zwang macht, statt seine innere Bewegung zu nutzen?
Das Projekt, an dem ich arbeite, trägt den Titel „Freiheit der Mathematik“. Es soll zeigen, dass selbst die Mathematik – vielleicht das Fach, das wie kein anderes mit Angst, Überforderung und Resignation verbunden ist – zu einem Spiel werden kann. Nicht zu einer hübschen Verpackung alter Aufgaben, nicht zu einem bunten Bonusmaterial, sondern zu einem wirklichen Abenteuer, in dem Verstehen der Schlüssel ist, Fortschritt die Folge und Freude der Motor.
Mathematik ohne Angst
Die Wahl fiel nicht zufällig auf die Differentialrechnung. Es ist ein Thema, an dem viele scheitern, ein Moment, an dem das Auswendiglernen nicht mehr trägt. Man kann diese Inhalte nicht bestehen, ohne sie wirklich zu verstehen. Auswendig lernen funktioniert hier nicht mehr. Genau deshalb ist es ein gutes Beispiel. Denn wenn selbst dieses Feld spielerisch vermittelt werden kann, wenn selbst hier Lernen mit Freude verbunden werden kann, dann ist der Beweis erbracht: Lernen muss nicht Leiden sein.
Im Spiel wird dieses Verständnis zur eigentlichen Währung. Wer etwas begreift, öffnet Türen, entdeckt Räume, gewinnt Freiheit. Wer Fehler macht, verliert nicht, sondern erhält andere, neue Zugänge. Fehler werden nicht bestraft, sondern verwandeln sich in Lernschleifen. Und immer bleibt der Spieler im Fluss, nie zu sehr gefordert, nie unterfordert. Ein Gleichgewicht, das im Klassenzimmer selten gelingt, entsteht hier fast von selbst.
Ein anderes Bild von Schule
Wenn wir diesen Gedanken ernst nehmen, müssen wir uns auch trauen, das Bild von Schule infrage zu stellen. Denn Schule, wie wir sie kennen, ist historisch gewachsen – nicht naturgegeben. Sie ist ein System, das auf Selektion, Vergleich und Kontrolle angelegt ist. Doch Lernen braucht keine Kontrolle, um zu gelingen. Es braucht Neugier, Freiheit und Resonanz.
Das Spiel ist in diesem Sinne nicht nur ein Werkzeug, um Mathematik zu vermitteln. Es ist ein Beweis. Ein Beweis dafür, dass Lernen und Freude keine Gegensätze sind. Dass sogar komplizierte Inhalte sich mit Begeisterung erschließen lassen. Und dass wir eine andere Schule denken können, in der Kinder nicht hingehen, um durchzuhalten, sondern um zu entdecken.
Vision einer Schule der Freude
Vielleicht wird es nur ein kleiner Schritt sein, ein einzelnes Beispiel. Doch auch ein Beispiel kann mächtig sein. Wenn ein Spiel zeigen kann, dass Mathematik Freude macht – dann kann man nicht mehr behaupten, es ginge nicht. Dann ist die Behauptung, Schule müsse nun einmal mühsam sein, widerlegt.
Und vielleicht liegt genau darin die Freiheit der Mathematik: nicht nur Zahlen und Formeln zu begreifen, sondern zu erkennen, dass Lernen selbst eine Befreiung sein kann. Dass wir die Möglichkeit haben, ein anderes Verhältnis zu Wissen zu schaffen – eines, das uns nicht knechtet, sondern erhebt.